Auszug - Antrag der Gruppe SPD und Grüne vom 26.06.2012 (Eingang: 02.07.2012); Planerische Steuerung von Tierhaltungsanlagen im Sinne einer Erhaltung bäuerlicher Strukturen und Berücksichtigung von Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz
|
Wortprotokoll Beschluss Abstimmungsergebnis |
Diskussionsverlauf:
Vorsitzender Fricke stellt dar, dass der Kreisausschuss die Annahme des Antrages empfohlen und dem Beschlussvorschlag einen weiteren Punkt hinzugefügt habe:
„6. Die Verwaltung wird beauftragt, bestehende Spielräume in Genehmigungsverfahren künftig stets im Sinne dieser Resolution auszuschöpfen.“
KTA Bauschke führt aus, dass in Deutschland im Jahr 2011 59 Millionen Schweine, 3,6 Millionen Rinder und mehr als 700 Millionen Hühner und Puten geschlachtet worden seien. In nahezu jeder Gemeinde werden neue Flächen für die Schweine- und Geflügelmast erschlossen. Es werde weit über den Bedarf hinaus produziert. In den vergangenen 10 Jahren haben sich die deutschen Fleischexporte mehr als verdoppelt. Der Bundesregierung fehle es an Entschlossenheit, die Produzenten an den Folgekosten ihres Treibens zu beteiligen. Im gesamten Landkreis gebe es Bestrebungen, bestehende Mastställe zu vergrößern. Zum Beispiel der Schweinemastbetrieb in Handorf mit einer Erweiterung auf bis zu 7.500 Schweine oder die Sauenaufzuchtstation in Ellringen mit der Erweiterung einer neu einzurichtenden Ferkelaufzucht für 2.400 Ferkel. Die Zeichen stehen auf Ausweitung agrarindustrieller Massentierhaltung, bevor angestrebte Gesetzesänderungen wie Tierschutz und Tierschutzplan oder Veränderungen im Baurecht zum Tragen kommen.
Mit einer Massentierhaltung seien Belastungen verbunden, die komplex und schädlich seien. Durch den massiven Antibiotikaeinsatz in der agrarindustriellen Massentierhaltung entwickeln sich immer mehr antibiotikaresistente Keime. Diese seien nach einer Studie der Universität Berlin und der Tierärztlichen Hochschule Hannover im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums bei bis zu 60% der konventionellen Schweinehaltungsbetrieben nachweisbar. Bei den ökologischen Bereichen lag die Quote bei lediglich 25%. Der massenhafte Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung gelte als wesentliche Ursache für das verstärkte Auftreten multiresistenter Keime. Ein signifikant geringerer Keimdruck sei nur und ausschließlich in tiergerechten Haltungsformen und natürlich besonders in ökologischen Betrieben zu erwarten. Die gleiche Problematik sei auch bei der Virenbildung zu beobachten. Wissenschaftliche Studien belegen, dass sich Schweine in großen Ställen bis zu neun Mal öfter mit Schweinegrippeviren anstecken als in kleineren Ställen mit weniger als 1.000 Schweinen. Der Prozess, in dem sich weniger ansteckende Grippeviren zu hochansteckenden Viren entwickeln, werde im Wesentlichen vorangetrieben durch das massenhafte Zusammenpferchen von Geflügel oder Schweinen. Dies gelte auch für den Transport.
KTA Schröder-Ehlers erläutert, dass der vorliegende Text nicht nur im Landkreis Lüneburg aktuell sei. Viele Landkreise haben sich mittlerweile mit dem Thema beschäftigt und größtenteils einstimmig ihr Votum dazu abgegeben. Dieses Thema betreffe alle. Landräte aus Niedersächsischen Landkreisen haben eingefordert, dass Kommunen dringend stärkere Steuerungsmöglichkeiten benötigen, um handlungsfähig zu sein. CDU-geführte Landkreise haben damit begonnen, Brandschutzgutachten und Keimgutachten zu fordern. Auf Bundesebene sei eingefordert worden, § 35 des Baugesetzbuches zu verändern. Auch die Gruppe wolle mit dem vorliegenden Text die Handlungsfähigkeit für Kreise verbessern. Denn die Kommunen und die Landkreise seien es, die beurteilen können, welches Vorhaben an welcher Stelle auch tatsächlich realisiert werden könne. Jeder Investor müsse sich der Debatte vor Ort stellen und für sein Vorhaben werben. Die Gruppe sei nicht generell gegen jedes Stallbauvorhaben, aber für ein Mitreden und eine Mitbestimmung der Menschen vor Ort.
In der Landwirtschaft gebe es einen Wandel. Nach dem Krieg sei man erpicht darauf gewesen, möglichst viele Menschen möglichst schnell satt zu bekommen und habe viele Gelder dafür bereit gestellt. Heute sei man an einem Wendepunkt angelangt. Mittlerweile gebe es gerade bei der Tiermast und der Tierzucht Produktionsmethoden, die einer ethischen Debatte zugeführt werden müssen. Heute müsse man sich damit auseinandersetzen, wie die Tierproduktion der Zukunft aussehen soll. In der Tat werde immer mehr Antibiotika verabreicht. Obwohl Antibiotika als Mastmittel mittlerweile verboten ist, sei die Vergabe in der Tierhaltung in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Es gebe große Probleme im Gesundheitswesen und Folgen für die Krankenhäuser. Mittlerweile bestehe die Situation, dass Menschen aus tierhaltenden Betrieben in den Krankenhäusern zunächst in eine Art Quarantäne müssen, damit sie andere Patientinnen und Patienten nicht in ihrem Gesundheitsverlauf beeinträchtigen. Antibiotikareste seien in Getreide und Feldfrüchten nachgewiesen worden. Es müsse dringend gehandelt werden.
Bei KTA Hövermann stößt die vorgeschlagene Resolution zum Teil auf Unverständnis. Dem ersten Punkt, dass bestehende Interessenskonflikte in einem frühzeitigen Beteiligungsverfahren minimiert werden müssen, werde zugestimmt. Denn auch die CDU wisse, dass es in der Bevölkerung ein Akzeptanzproblem für viele landwirtschaftliche Projekte gebe und Landwirtschaft nur dann langfristig gesichert werden könne, wenn sie vom Großteil der Bevölkerung und der Verbraucher vor Ort mitgetragen werde. Mit der Resolution soll überwiegend eine polemische Ideologie vertreten werde, die man so in der Landwirtschaft im Landkreis Lüneburg nicht wiederfinden werde. Im Landkreis Lüneburg liege der Schwerpunkt der landwirtschaftlichen Betriebe im Ackerbau und der Milchviehhaltung. Es gebe kaum nennenswerte Bestände an Schweinen und Geflügel. Die Frage sei, wo bäuerliche Struktur aufhöre und Agrarindustrie anfange. Rein rechtlich fange der agrarindustrielle Betrieb an, wenn nicht mehr 50% des eingesetzten Futters selbst produziert werden könne.
Viele sauenhaltende Betriebe mussten durch die neue Tierhaltungsverordnung bereits Sauen abschaffen. Die Umbaukosten für das Tierwohl stehen in keinem Verhältnis zu der bestehenden Anzahl der Tiere. Tierwohl und Umweltverträglichkeit hänge nicht ausschließlich davon ab, in welcher Größenordnung Tiere gehalten werden. In allen Wirtschaftsbereichen sei der Fortschritt enorm. Nur die Landwirtschaft soll stehen bleiben oder sich gar zurückentwickeln. Ohne Fortschritt in der Landwirtschaft gebe es keinen Fortschritt in Sachen Umwelt- und Tierwohl. Aber rein industrielle Agrarbetriebe werden auch von der CDU abgelehnt.
KTA Staudte ist der Auffassung, dass der Tierschutzplan von Minister Lindemann nicht weitgehend genug sei. Letztendlich verschiebe er den Tierschutz auf die Zukunft. Wenn heute fixiert werde, dass Schnäbelkürzen erst in 2018 eingestellt werden soll, sei dies nicht ausreichend. Es sei auch nicht hinzunehmen, dass in Niedersachsen die Käfige für Hühner am kleinsten sind. Es werde eine andere Tierschutzpolitik benötigt.
KTA Glodzei hört es relativ häufig, dass man sich Tierschutz nicht leisten könne und dies Arbeitsplätze koste. Für ihn stelle sich jedoch die Frage, wovon die vielen bäuerlichen Betriebe, die ihre Tiere artgerecht halten, eigentlich leben. Auch diese Betriebe können sich auf dem Markt behaupten. Es sollte geschaut werden in welche Richtung der Markt entwickelt werden könne.
KTA Schröder-Ehlers macht deutlich, dass es einen massiven Strukturwandel in der Landwirtschaft gibt. Es habe einmal 300.000 Betriebe in Niedersachsen gegeben. Jetzt gebe es noch unter 40.000 Betriebe. Wenn man sich darauf reduziere, wer am billigsten produzieren könne, werde der Strukturwandel gnadenlos beschleunigt. Es bestehe nur eine Chance für die Landwirtschaft, wenn eine Debatte über Qualitätsproduktion geführt werde, und zwar sowohl im konventionellen Bereich als auch im Ökolandbau. Es werde auch gefordert, dass der ökologische Anteil deutlich verbessert werde. Die Landwirtschaft tue gut daran, die Warnsignale zu erkennen und ernst zu nehmen.
Man müsse die Debatte mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern führen. Denn es gehe auch um die Frage des Preises. Wie viel Geld sei der Verbraucher bereit, für ein Stück Fleisch tatsächlich zu bezahlen. Dies sei eine schwierige Aufgabe, aber mit einer klaren Äußerung aus dem Kreistag heraus könne in dieser Gesamtdebatte ein Zeichen gesetzt werden.
KTA Perschel entgegnet, dass alle für den Tierschutz sind und eine artgerechte Haltung fordern. Das Problem sei jedoch, dass es in der Landwirtschaft immer weniger Betriebe gebe und irgendwo nicht mehr gegengesteuert werden könne. Der Verbraucher sei auch ein Punkt. Es sei im Augenblick so, dass die ökologischen Landwirte auch in die Knie gehen, weil Produkte beispielsweise aus Afrika kommen. Auch da gebe es Probleme. Insgesamt müsse etwas geändert werden. Aber einfach nur zu sagen dass es die Landwirte seien, könne man so nicht stehen lassen. Es sei nur über Angebot und Nachfrage umzusetzen. Der Verbraucher müsse bereit sein, mehr für die Produkte zu bezahlen. Eine Veränderung müsse auf beiden Seiten stattfinden.
- KRin -
Beschluss:
1. Der Kreistag fordert von Land, Bund und EU klare und umfassende Regelungen für die planerische Steuerung von Tierhaltungsanlagen sowie rechtliche Vorgaben für deren Genehmigungsverfahren, so dass Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz gewährleistet werden. Durch eine frühzeitige und umfassende Beteiligung sollen Interessenskonflikte zwischen den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern einerseits und den Antragstellern andererseits minimiert werden. Zur Konfliktminimierung sind Produktionsstandards über die derzeit gültige Rechtslage hinaus (Abstände, Einbau von Filteranlagen) einvernehmlich anzustreben.
2. Neue Projekte zur Tierzüchtung und Tiermästung verursachen vielfältige Probleme:
I) Einerseits geht es um den nachhaltigen Schutz von Umwelt und Gesundheit aller Beteiligten und Betroffenen.
II) Andererseits ist eine ethisch verantwortbare Produktion zu realisieren, das heißt, die Anforderungen an eine artgemäße Tierhaltung sind zu gewährleisten.
3. Der Landkreis Lüneburg fordert europaweite einheitliche Standards (Regelungen und entsprechende Grenzwerte), die verhindern, dass der derzeit stattfindende Strukturwandel zur Agrar-Industrie die bäuerlichen Strukturen im Landkreis Lüneburg vernichtet; insbesondere ist die Regelung zum privilegierten Bauen in der Novelle des Baugesetzbuches entsprechend zu modifizieren.
4. Diese Standards dürfen nicht auf Kosten der Gesundheit und Umwelt gehen. Sie dürfen nicht ermöglichen, dass den Tieren unverantwortliches Leid zugefügt werden kann.
5. Der Landrat wird daher gebeten, die Landesregierung aufzufordern, dass sie sich insbesondere bei der Tierzüchtung und –mästung für entsprechende Standards einsetzt und deren Einhaltung konsequent durchsetzt.
6. Die Verwaltung wird beauftragt, bestehende Spielräume im Genehmigungsverfahren künftig stets im Sinne dieser Resolution auszuschöpfen.
Abstimmungsergebnis: 41 Ja-Stimmen und 15 Enthaltungen