Danach suchen andere
Zum Inhalt springen
Abstimmung per Handzeichen in einer Kreistagssitzung.
ALLRIS - Vorlage

Antrag an den Kreistag - 2021/190

Reduzieren

Beratungsfolge

Reduzieren

Beschlussvorschlag

 

 

 

 

Beschlussvorschlag:

Der Lüneburger Kreistag beschließt die Übernahme einer Patenschaft und die finanzielle Unterstützung des Seenotrettungsschiff Ocean Viking, dassich auf dem Mittelmeer speziell für die Seenotrettung geflüchteter Menschen einsetzt.
 

Reduzieren

Sachverhalt

 

 

 

 

Sachlage:

Immer mehr Städte, Landkreise, Verbandsgemeinden und Gemeinden erklären sich solidarisch mit den von der Seebrücke formulierten Anforderungen an einen Sicheren Hafen. Mittlerweile haben sich auf der Ebene der Landkreise deutschlandweit zwanzig und innerhalb Niedersachsens sechs Landkreise dazu bekannt. Insgesamt gibt es 243 Kommunen, die sich als Sicheren Hafen sehen (Stand 23.04.2021). Mit Wirkung zum 11.03.2021 hat sich der Landkreis Lüneburg solidarisch mit den von der Initiative Seebrücke gestellten Forderungen an einen Sicheren Hafen erklärt. Eine dieser Forderungen beinhaltet die öffentliche Positionierung gegen die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung, zum Beispiel durch die finanzielle Unterstützung und Übernahme einer Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff, welches sich speziell für die Seenotrettung geflüchteter Menschen auf dem Mittelmeer einsetzt.

 

Der Landkreis Lüneburg übernimmt offiziell die Patenschaft für das Seenotrettungsschiff Ocean Viking von SOS Mediterranee. In diesem Zusammenhang startet der Landkreis in Zusammenarbeit mit der Seebrücke Lüneburg und SOS Mediterranee einen öffentlichen Spendenaufruf, um die Ocean Viking finanziell zu unterstützen. Der Landkreis sichert zu, sich an diesem Aufruf mit einer Verdoppelung des Spendenbetrags in Höhe von maximal 100.000€ zu beteiligen. Der Spendenaufruf wird eine Laufzeit von mindestens 10 Monaten

haben. Mit dieser Patenschaft wäre der Landkreis dann zusammen mit der Stadt München Pate der Ocean-Viking. Die Stadt München hatte offiziell eine Patenschaft für die Ocean Viking im Dezember 2019 übernommen. Dabei kam es zu einer Spendensammlung von 134.992,38€,die mit 100.000€ von der Stadt München ergänzt wurde.

 

Seit 2015 betreibt SOS Mediterranee Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Seit 2019 kommt dafür auch das Seenotrettungsschiff Ocean Viking zum Einsatz. Seit Gründung hat SOS Mediterranee mehr als 31.000 Menschen das Leben gerettet. Ein Rettungsschiff zu betreiben, ist zeit-, arbeits-und kosten-intensiv.

 

Der Landkreis Lüneburg zeigt mit der Übernahme einer Patenschaft für die Ocean Viking Solidarität mit Menschen in Seenot und eine Geste der Menschlichkeit. Der Landkreis spricht sich damit auch gegen die Kriminalisierung der SeenotretterInnen, gegen die tödliche Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik der EU sowie gegen Menschenfeindlichkeit und Hass aus.

 

 

Stellungnahme der Verwaltung vom 14.06.2021 (im Vorgriff auf das Protokoll der KA-Sitzung vom 07.06.2021):

 

Die nachfolgende Darstellung befasst sich ausschließlich mit der Frage, ob eine finanzielle Unterstützung einer Patenschaft zur Ocean Viking aus Mitteln des Landkreises Lüneburg rechtmäßig ist. Andere Aspekte, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden können, werden an dieser Stelle nicht ausgeführt.

 

Ergebnis: Eine finanzielle Unterstützung der Ocean Viking aus Mitteln des Landkreises Lüneburg ist unzulässig.

 

Um diese Aussage nachvollziehen zu können, muss zunächst der grundsätzliche staatliche und kommunale Aufbau der Bundesrepublik Deutschland vor Augen geführt werden. Ausgangspunkt ist Art. 28 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes:

 

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

 

(2) Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

 

Dieser Regelung sind verschiedene Grundsätze zu entnehmen:

 

1. Der Staatsaufbau weist mehrere Stufen auf: Basis sind die Kommunen, denen eine Allgemeinzuständigkeit für ihr Gebiet zugewiesen wird. Die höheren Ebenen begründen ihre Zuständigkeiten mit Aufgaben, die auf den darunterliegenden Ebenen nicht sinnvoll wahrgenommen werden können. Gründe dafür können z.B. notwenige Spezialisierungen sein, die in kleinen Verwaltungsbezirken nicht vorgehalten werden können. Die höhere Ebene muss also begründen können, dass und warum die untere Ebene nicht zu einer sinnvollen Aufgabenwahrnehmung beitragen kann. Die untere Ebene kann aber nicht überörtliche Aufgaben der oberen Ebene an sich ziehen, weil sie inhaltliche eine andere Meinung vertritt.

 

2. Die Kommunen sind mit ihren Kommunalverbänden - darunter auch den Landkreisen - Instrumente der Selbstverwaltung. Das kommt in Art. 28 Absatz 2 deutlich durch die Formulierung "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung" zum Ausdruck. Hieraus ist bereits abzuleiten, dass Themen ohne spezifischen Bezug zu der genannten örtlichen Gemeinschaft nicht zu den Aufgaben einer Kommune gehören können. Es kann sich dabei nicht um Selbstverwaltung handeln.

 

3. Weiterhin ist zwischen staatlichen und kommunalen Strukturen zu differenzieren. Im Staatsaufbau sind die Kommunen Bestandteile der Landesverwaltung. Deshalb sind kommunale Vertretungen keine Parlamente. Sie gehören zur Exekutive nicht zur Legislative. Nach dem Prinzip der repräsentativen Demokratie werden Entscheidungen von den Gremien getroffen, die aus allgemeinen, freien, gleichen, unmittelbaren und freien Wahlen hervorgegangen sind. Diese und nur diese Gremien haben das Recht die Entscheidungen zu treffen, die der jeweiligen Ebene zugeordnet sind.

 

4. Neben diesen Stufen ergibt sich in einem föderalen System auch eine räumliche Trennung. Die Mandate beschränken sich auf das jeweilige Gebiet. Dies stimmt mit der Wahlberechtigung des Wahlvolks überein. Eine Entscheidung, die einen Raum betrifft, deren Bewohnerinnen und Bewohner nicht das Recht hatten, an der Wahl der Entscheidungsträger mitzuwirken, verletzt das Demokratieprinzip.

 

5. So zeigt sich am Ende eine fraktale Struktur in horizontaler (räumliche Zuordnung im jeweiligen Bezirk) und vertikaler (Kommune, Kommunalverband, Land, Bund) Richtung, wobei die demokratische Mandatierung nur die Entscheidungsrechte zubilligt, die von den jeweiligen Wahlberechtigten abgeleitet werden kann.

 

6. Dieser fraktalen Struktur sind Finanzmittel zugeordnet. Die Finanzmittel dürfen nur im eigenen Zuständigkeitsbereich verwendet werden.

 

Wendet man die vorgenannten Grundsätze an, mag es viele Fallgestaltungen geben, die Raum für argumentative Graubereiche lassen. Unverzichtbar ist jedoch ein gewisser räumlicher und funktionaler Bezug zur betroffenen Entscheidungsebene. Im Falle der Patenschaft zur Ocean Viking ergibt sich ein solcher Graubereich aber nicht. Ein wie auch immer gearteter Zusammenhang mit dem Landkreis Lüneburg ist nicht vorhanden. Deshalb ist ein Einsatz von Mitteln, die der Bevölkerung des Landkreises Lüneburg zugedacht sind, unzulässig.

 

Ein gedanklicher Ansatz könnten kommunale Partnerschaften sein. Viele Kommunen und auch Landkreise unterhalten internationale Partnerschaften und setzen dafür auch Finanzmittel ein. Dies basiert auf einem Austausch zwischen den Menschen der Partnerregionen. Thiele, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz führt dazu unter § 5 Rdnr. 7 aus:

 

"Im Rahmen partnerschaftlicher Beziehungen oder eines verfestigten Kontakts zu einer ausländischen Kommune können bestimmte Maßnahmen der Entwicklungshilfe, wie z.B. die Überlassung überzähligen Geräts, die Beratung bei der Durchführung eines Projektes, die Ausbildung und Unterweisung von Personal der ausländischen Kommune, als zulässig angesehen werden; dabei ist auch ein maßvolles finanzielles Engagement möglich, insbesondere dadurch, dass Initiativen der Bürgerschaft geweckt oder gefördert werden, die die Kommune finanziell unterstützt (mittelbare kommunale Entwicklungshilfe). Die finanzielle Unterstützung eines Projekts in einem Entwicklungsland, die in derartige partnerschaftliche Beziehungen nicht eingebettet ist, hat keinen Bezug zu den örtlichen Angelegenheiten und kann deshalb nicht als Aufgabe der Kommune angesehen werden."

 

Die Unterstützung einer Patenschaft zu der Ocean Viking kann nicht mit einer kommunalen Partnerschaft verglichen werden, weil der persönliche Austausch zweier Gebietskörperschaften nicht gegeben ist und nicht gegeben sein kann.

 

Die Fragen der internationalen Flüchtlingspolitik werden auf der Ebene des Völkerrechts, der Vereinten Nationen, der europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland behandelt. Jedermann kann dazu eine politische Meinung haben - auch kommunale Gremien. Operative Entscheidungen kommunaler Gremien im Gegensatz zu Bundes- und Europarecht verletzen das Demokratieprinzip, weil ein demokratisches Mandat der kommunalen Gremien diesbezüglich nicht besteht. Verletzt wird zudem das Prinzip der Gewaltenteilung, weil kommunale Gremien zur Verwaltung gehören und damit nicht das Recht haben, Entscheidungen der Parlamente zu ersetzen.  

Reduzieren

Anlagen

Loading...

Beschlüsse

Erweitern

24.06.2021 - Kreistag - ungeändert beschlossen

Diese Themen könnten Sie auch spannend finden?

Der Landkreis 

Kreisentwicklung

Wahlen

Landrat Jens Böther

Kreispolitik

Kreisverwaltung